Spezielle Förderung – Potenziale erkennen

Der Schulversuch «Spezielle Förderung» ist im Sommer 2011 gestartet worden. Wir befragten Andreas Walter, Vorsteher des Amtes für Volksschule, zu den ersten Erfahrungen.

Der Schulversuch ist im Sommer 2011 gestartet. Wie ist Ihre Einschätzung über den Start?
Andreas Walter: Mit dem ersten Schultag am 16. August 2011 sind im Kanton Solothurn vier Neuerungen in Kraft getreten:

  • der Schulversuch Spezielle Förderung
  • der Unterricht Passepartout mit der Fremdsprache Französisch im dritten Schuljahr
  • die neue Sekundarstufe I
  • das neue Laufbahnreglement

Die Schulen hatten sich im Vorfeld darauf vorbereitet und sind gut gestartet. Die Spezielle Förderung betrifft alle Schulen. Sie arbeitet mit der zutiefst pädagogischen Haltung, dass die Möglichkeiten der Kinder erkannt und das Potenzial gefördert wird. Dies verlangt hohe diagnostische Kompetenzen. Damit können wir die Schule von heute wie auch von morgen gestalten. Bereits vor dem Schulversuch Spezielle Förderung hat die Mehrheit der Schulen die Integration im Rahmen des vorherigen Schulversuchs umgesetzt.

Wie erfahren Sie als Amtsleiter von den Freuden und Leiden der Lehrkräfte in den Schulen, welche die Spezielle Förderung umsetzen müssen?
Es sind verschiedene Kanäle, auf denen ich vom Stand der Umsetzung vernehme. Einerseits sind es die politischen Gremien, in denen wir das Thema besprechen. Andererseits sind es die Schulleiterinnen und Schulleiter mit den Spitzen der Verbände der Schulleiterinnen und Schulleiter, VSL SO, und der Lehrerinnen und Lehrer Solothurn, LSO. Im weiteren halten mich meine Mitarbeitenden auf dem Laufenden, die einerseits in der Regelstruktur mit dem Schulbetrieb und andererseits in der Projektstruktur mit den Leitungen der Teilprojekte betraut sind. Zudem habe ich viele verschiedene Kontakte zu Einzelpersonen aus dem Bildungswesen.

Nach dem Nein des Kantonrats am 15. Dezember 2010 mussten Sie schnell handeln…
Das ist genau so. Und wir haben schnell handeln können. Nach der Analyse der Gründe, warum der Kantonsrat dem Veto zugestimmt und damit die flächendeckende Einführung aller Angebote gemäss § 36 des Volksschulgesetzes als Spezielle Förderung abgelehnt hat, konnte sich der Regierungsrat mit Regierungsratsbeschluss vom 1. Februar 2011 für einen Schulversuch entscheiden. Der Beschluss war die Basis für das Entwickeln des Projekthandbuchs und damit hatten wir die Grundlage für die Umsetzung.

Was sagen Sie den Kritikern und Kritikerinnen der Speziellen Förderung welche bemängeln, dass bei 13% Vergleichsschulen in der Evaluation gar kein Vergleich zu den Versuchsschulen mehr möglich sei und somit klar sei, wie die Ergebnisse herauskommen werden?
Auch die strategischen Behörden der Schulträger haben schnell gehandelt und sich für die Umsetzung des Schulversuchs mit integrativer oder mit separativer Form entschieden.
Die Evaluation wird ihren Auftrag mit der gegebenen Ausgangslage ausführen. Sie hat erste Gespräche mit den verschiedenen Gruppierungen geführt. Geplant sind flächendeckende Befragungen bei den Unterrichtenden, damit sich ein realitätsnahes Bild zeichnen kann. Auf die Ergebnisse freue ich mich.

Es gibt auch Kritikerinnen und Kritiker am Gesamtprojekt, die meinen, diese umfassende Projektorganisation wäre gar nicht nötig gewesen…
Der Entscheid des Kantonsrats im Dezember 2010 war massgebend für die Weiterarbeit. Das Parlament war der Meinung, dass die Rahmenbedingungen für die flächendeckende Umsetzung noch nicht genügend klar sind. So musste eine Form gefunden werden, wie einerseits die damals bereits fortgeschrittenen Arbeiten vieler Schulen im Bereich Integration der Kleinklassenkinder in die Regelklasse aufgenommen und fortgesetzt werden konnte und andererseits Schulen, die weiterhin in separativen Formen unterrichten wollen, dies auch tun können.
Im weiteren ist der Auftrag gemäss § 36 Volksschulgesetz klar. Die Spezielle Förderung ist ab dem 1. August 2011 umzusetzen. Die Projektorganisation dient der Entwicklung der noch nicht klar beschriebenen Angebote sowie weiterer pendenter politischer Aufträge wie zum Beispiel die Kantonalisierung der Heilpädagogischen Sonderschulen. In der Zusammenarbeit mit den Verbänden der Einwohnergemeinden, der Schulleitungen und der Lehrpersonen haben wir gute Bedingungen zum Begleiten des Schulversuchs und zum Ausgestalten der Speziellen Förderung.

Was geschieht aktuell mit Schülerinnen und Schülern, welche trotz hohem Engagement der Lehrkräfte in der Volksschule nicht mehr unterrichtet werden können?
Das Vorgehen ist wie bisher. Es stehen uns die bereits eingerichteten Gefässe zur Verfügung wie zum Beispiel die Tagessonderschulen. Die Abläufe richten sich nach den bekannten Vorgängen.

Im Konzept der Speziellen Förderung werden regionale Kleinklassen erwähnt. Inwiefern braucht es diese denn überhaupt?
Die regionalen Kleinklassen sind für Schülerinnen und Schüler gedacht, die vorübergehend eine besondere und individuelle Unterstützung zum Beispiel im Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten brauchen. Vielleicht ist der Begriff «regionale Kleinklassen» etwas nahe am bisherigen Begriff «Kleinklassen», und man könnte damit das gleiche Verständnis verbinden. Dies ist allerdings nicht der Fall. Wir gingen in den früheren Planungen von acht bis zehn solchen Klassen aus, die regional verankert sind.

Ein Anliegen der Speziellen Förderung ist die Begabungs- und Begabtenförderung. Was bietet das AVK dazu den Lehrkräften?
Die Begabungs- und Begabtenförderung ist eines der zentralen Anliegen der Speziellen Förderung. Es ist geprägt von der pädagogischen Grundhaltung, dass die Möglichkeiten jeder Schülerin und jedes Schülers erkannt und gefördert werden. Das Amt für Volksschule hat die Aufgabe der direkten Information. Das Projekthandbuch «Spezielle Förderung» gibt zu diesem Thema sehr ausführlich Auskunft. Es richtet sich mit den entsprechenden Kapiteln sowohl an die Schulleitungen wie auch an die Lehrpersonen.
Für die effektive Weiterbildung haben wir den Leistungsauftrag für alle schulischen Bereiche mit dem Institut Weiterbildung und Beratung der Fachhochschule Nordwestschweiz, IWB FHNW. Die Schulleitungen entscheiden über eine angemessene Weiterbildung ihrer Lehrpersonen. Sie wissen am besten, was sie brauchen.

Die Schulleitungen verfügen aktuell mit dem Projekthandbuch einen fachlichen Rahmen und mit dem Pensenpool ein Instrument, mit dem sie die Spezielle Förderung autonom umsetzen können. Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der Schulleitungen?
Mit dem Schulführungsmodell der Geleiteten Schulen sind die Schulleitungen abschliessend zuständig für die operative Führung und Leitung der Schulen. Die Schulleitungen führen ihre Schulen unterschiedlich, und das ist gut so. Die Führungsaufgabe muss und soll so wahrgenommen werden, wie es einer Schule und den darin tätigen Personen entspricht. In der ganzen Bandbreite der Schulleitungen kennen wir diejenigen, die den möglichst hohen Freiraum sorgfältig ausgestalten wie auch diejenigen, die gerne genaue Handlungsanweisungen für ihre Funktion hätten. Dabei gilt es zu bedenken, dass wir am Anfang des Schulversuchs stehen und dass wir im weiteren Verlauf bedeutende Erfahrungen sammeln werden.

Mit www.schulversuch.ch haben Sie eine interaktive Plattform zum Schulversuch gestartet. Was wollen Sie damit erreichen?
Mit www.schulversuch.ch wollen wir die Spezielle Förderung in die Öffentlichkeit bringen und mit der Web 2.0-Plattform für den offenen Austausch die Spezielle Förderung so zeigen können, wie sie erlebt wird.

Sind Sie zufrieden mit den bisherigen Reaktionen?
Die Plattform ist seit Mitte November aufgeschaltet. Sie ist für uns ein neues Medium, und wir sammeln gerne Erfahrungen damit. Gefreut hat mich, dass sich Schulen aus eigener Initiative für die Produktion einer Videosequenz interessieren.

Ihre Einschätzung der Solothurner Volksschulen bezüglich Integration und Spezieller Förderung mit Start des Schuljahrs 2014/15 in zwei, drei Sätzen?
Wir werden die Erfahrungen dank der Projektorganisation und der Zusammenarbeit mit den Verbänden zusammentragen und die pädagogische Haltung der Speziellen Förderung  gezielt weiterführen können. Darauf vertraue ich, und dafür danke ich allen Beteiligten.

Ernst Meuter, Schulblatt AG/SO 1/2012

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